Es finden gleichzeitig drei Revolutionen statt, die die strategischen Herausforderungen, mit denen sich Europa auseinandersetzen muss, zwangsläufig verändern werden.
Eine technische und wirtschaftliche Revolution:
Die Konvergenz digitaler, biologischer und industrieller Technologien und die starke Zunahme von für viele Menschen verfügbaren und bezahlbaren digitalen Werkzeugen überall und für praktisch jeden Zweck werden die Funktionsweise der Volkswirtschaften und der Gesellschaften grundlegend verändern.
Die neue Wissensgesellschaft bietet enorme Möglichkeiten in Bezug auf die Produktivität und die durchschnittlichen Wohlstandsgewinne sowie die Stärkung von Einzelpersonen.
Sie kann jedoch auch zu großen gesellschaftlichen Umbrüchen führen:
Bereits jetzt können ein Anstieg der Arbeitslosigkeit bei repetitiven Arbeiten mit geringfügigen Qualifikationsanforderungen, ein Anstieg der Ungleichheiten innerhalb von Gesellschaften (mehr als zwischen Ländern) und eine relative Verarmung der Mittelschicht in Industrieländern, unter anderem auch in Europa, beobachtet werden
Eine gesellschaftliche und demokratische Revolution:
Stärkere und besser vernetzte Einzelpersonen werden kreativer, dynamischer und weniger dazu geneigt sein, ein Leben lang im selben Beschäftigungsverhältnis zu bleiben. Sie werden jedoch auch anspruchsvoller und kritischer sein. Dadurch könnten eine grundlegende Erneuerung des Gesellschaftsvertrags und die Erfindung neuer Formen von Staatsführung und Politik möglich werden. Es wird jedoch dadurch schwieriger, im Kollektiv zu gestalten und gemeinsame Ansätze über traditionelle Strukturen wie Parteien und Gewerkschaften zu entwickeln.
Systemkritische Einstellungen werden sich möglicherweise weiter verbreiten, und auch der Rückgriff auf weniger traditionelle und eher lokale Initiativen steigt. Auf jeden Fall wird der Druck für größere Rechenschaftspflicht und mehr Transparenz auf den verschiedenen Ebenen der Staatsführung zunehmen.
Eine geopolitische Revolution:
Der Aufstieg Asiens wird weitergehen, und fast zwei Jahrhunderte der globalen Dominanz durch den europäischen Kontinent und die USA nähern sich ihrem Ende. Gemeinsam mit dem Auftreten neuer Mächte in Lateinamerika und möglicherweise Afrika wird dies zu einer zunehmend multipolaren Welt führen. Die Globalisierung wird nicht länger nur von westlichen Mächten vorangetrieben werden, die für mehr Demokratie, offenere Märkte und eine friedliche internationale Zusammenarbeit einstehen.
Dieser Paradigmenwechsel könnte durchaus eher konfrontative Umgangsformen zwischen Schlüsselakteuren wie den USA und China herbeiführen. Der multilaterale Rahmen der Nachkriegszeit könnte daher zunehmend unter Druck geraten, womit die kollektive Fähigkeit, steigende Interdependenz auf wirksame Art zu handhaben, gefährdet wird.
In diesem Zusammenhang sind eine Gefährdung der internen Stabilität der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten durch den Terrorismus, zunehmende Ungleichheiten und Populismus möglich, während ihre Sicherheit durch die politische und soziale Destabilisierung in benachbarten Ländern bedroht wird.
Die Europäische Union wird all ihre Kräfte und ihre Widerstandsfähigkeit für die Erhaltung ihrer Werte, ihres Wohlstands und ihrer Sicherheit und womöglich sogar für das Weiterbestehen in ihrer jetzigen Form aufbringen müssen. Zunehmende Geschwindigkeit von Veränderungen und der Druck der Kurzfristigkeit. Es besteht ein allgemeiner Konsens darüber, dass sich wissenschaftliche und technologische Entwicklungen beschleunigen werden. Während ein Vierteljahrhundert erforderlich war, bis die Elektrizität von der breiten Bevölkerung genutzt wurde, sind nur zehn Jahre von der Sequenzierung des menschlichen Genoms bis zu dessen Routinenutzung vergangen. In diesem kurzen Zeitraum sind Kosten und Implementierungszeit um das Zehnfache gesunken.
Neue Technologien stoßen zügiger denn je in den Alltag vor.
Steuerung von Komplexität
Komplexität gehört bereits für viele Menschen zum alltäglichen Leben und wird 2030 noch stärker zu spüren sein. Mehrere Kräfte treiben diesen Prozess voran, darunter die ständig steigenden sozialen und ökologischen Ansprüche der Gesellschaft sowie das weit verbreitete Streben nach mehr Verbrauchsgütern, Nervenkitzel und Freizeit. Zum Teil ist es auch auf die Mobilität von Menschen und Gütern und die Möglichkeit zurückzuführen, mehrere Leben im zeitlichen Rahmen eines einzigen Lebens auszukosten. Daher beginnt die Komplexität beim Individuum. Komplexität entsteht auch aufgrund der schwierigen und undurchsichtigen Verfahren und Methoden von Schlüsselproblemen und ereignissen. Die Mechanismen der Wirtschaftskrise beispielsweise sind auch für Experten schwer zu verstehen, die sich häufig auf keine Erklärung einigen können. Daher können Menschen nicht verstehen, wovon ihre Lebensqualität bestimmt wird, sei es in der Bildung, der Produktion oder der Bereitstellung von öffentlichen Gütern.
Frustration ist die Folge.
Steigende Unsicherheit kann jedoch auch Innovation und Kreativität stimulieren und den Weg für eine alternative Zukunft ebnen. Komplexität kann das Spektrum möglicher Maßnahmen erweitern und die Dichte des sozialen und wirtschaftlichen Lebens erhöhen. Neue Methoden und neue Instrumente, insbesondere die Verarbeitung großer Datenmengen (Big Data) und künstliche Intelligenz, eröffnen neue Wege für die Bewältigung von sowohl Unsicherheit als auch Komplexität.
Agile und adaptive Strukturen
Eine sich rapide ändernde, komplexe und multiple Welt macht agile und adaptive Strukturen erforderlich, mit denen eine neue Umwelt gesteuert werden kann, ohne sie jedoch zu zerstören. Die Welt der Zukunft, in der Volatilität, Unvorhersehbarkeit und Komplexität vereint werden, wird interdisziplinäre Ansätze erforderlich machen, die Antizipation ermöglichen, Reaktion erleichtern und Widerstandsfähigkeit stärken. Vor allem wird die Priorisierung von langfristigen Zielen und Strategien erforderlich.
Dies wird nicht so weithin anerkannt, wie es der Fall sein sollte:
Das Anhalten der Kurzfristigkeit lässt vermuten, dass gegenwärtige Politik und Unternehmensstrukturen nicht förderlich für derartige Verhaltensweisen sind. Öffentliche Behörden müssen darüber nachdenken, wie langfristigere Strategien und Innovationen gefördert und belohnt werden können.
The Oxford Martin Commission for Future Generations, 2014. Securing the long term in national and international decision making.
Der Bericht Now for the Long Term ist das Ergebnis eines einjährigen Prozesses und einer ebenso langen Debatte unter dem Vorsitz von Pascal Lamy über die Erfolge und Misserfolge bei der Bewältigung globaler Herausforderungen während der letzten Jahrzehnte. In diesem Bericht wird eine tiefgreifende Änderung in Politik und Wirtschaft im Hinblick auf die Integration langfristigen Denkens gefordert, wobei gleichzeitig praktische Empfehlungen für Maßnahmen ausgesprochen werden, anhand deren eine robustere, integrativere und nachhaltigere Zukunft gestaltet werden soll.
Die aktuellen Erkenntnisse hat Dieter Trollmann in seinem neuesten Buch zusammengetragen.
Wir müssen unter anderem erkennen, dass die neue Quelle des Wohlstands die menschliche Intelligenz ist
mit der ISBN 9783755788690